Eamon O'Kane

Der verstellte Blick
Auch wenn es oberflächlich betrachtet die Natur ist, die Eamon O’Kane mit ihrer Palette an Darstellungsmöglichkeiten die Sujets liefert, wurzelt seine künstlerische Praxis tief in seiner immerwährenden Hassliebe zu den institutionellen Strukturen, die der zeitgenössischen Kunst das Überleben sichern. Museen, Galerien, Bibliotheken, Kulturzentren, öffentliche Träger, Konzerne, karitative Einrichtungen, Universitäten und andere von Menschen geschaffene Organisationen besitzen sowohl physische Realität als auch eine abstrakte Identität als geistige Konstrukte. Im Allgemeinen halten wir beide Aspekte für selbstverständlich, um ein mehr oder weniger unsichtbares, neutrales Umfeld für das Kunstobjekt zu erzeugen. Für O’Kane jedoch ist die Beziehung zwischen einem Kunstwerk und seinem soziokulturellen Kontext alles andere als neutral und die in seinen Arbeiten spürbar angestrebte Versöhnung mit der Geschichte ist weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Ganz im Gegenteil: Alle Naturdarstellungen in O’Kanes Werken neigen dazu, von den Bedingungen ihres Ortes innerhalb der konstruierten Welt beeinflusst – oder sogar gefesselt – zu sein. Zu diesen Orten zählen als Ausgangspunkte auch das private Zuhause und das Atelier des Künstlers.

Die Wege, auf denen diese eingebaute Ambivalenz gegenüber der Institutionalisierung der Kunst zustande kommt, lassen sich leicht verdeutlichen. In den weitaus meisten Fällen hängt ein Gemälde an einer Wand, die Teil eines Gebäudes ist, das auf einem Grundstück steht, das sich in einer Stadt befindet, die wiederum als Gegenentwurf zum sie umgebenden natürlichen Ökosystem entstanden ist. Wenn wir davon ausgehen, dass das aufgehängte Gemälde die Natur darstellt, dann bildet es in gewisser Hinsicht auch den Kampf um die Überwindung der buchstäblichen wie metaphorischen Distanz ab, die sich zwischen dem geschaffenen Bild und der auf ihm dargestellten und von ihm diverse Trennungsschichten entfernten Realität auftut. Eines der Modelle, anhand derer man sich diesen Kampf bildlich vorstellen kann, besteht aus einer Reihe von konzentrischen Kreisen, bei denen der innere und äußere jeweils deutliche Wiederholungen der Natur sind und durch mehrere dazwischenliegende Schichten nicht natürlicher (aber trotzdem materieller) Realität getrennt werden. Sogar das Grundstück, auf dem sich ein Gebäude befindet, ist eher Teil der konstruierten Welt als ihres natürlichen Gegenstücks, da seine Umrisse und Begrenzungen höchstwahrscheinlich von naturfernen Faktoren bestimmt sind.

Zumindest seit 2005, als ich erstmals mit seinen Werken in Berührung kam, nutzt O’Kane Architektur als Sprungbrett für seine Reflexionen über die Natur mittels ihres spiegelbildlichen Gegenteils. Eine überaus erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie ist die Serie „Ideal Homes“, für die er typische Häuser und Baustile vom Bauhaus bis zum Brutalismus in idyllische Umgebungen verfrachtet, wo sie von grünen Waldlandschaften umgeben sind. Diese sind zwar nur teilweise sichtbar, aber nichtsdestoweniger dazu angetan, mit ihrer unmöglichen Mischung aus utopischer Fantasie und bukolischer Erhabenheit im Betrachter eine Form von Neid zu erwecken. Dass es im wahren Leben weitgehend unmöglich ist, solche Kombinationen aus künstlichen und natürlichen Räumen zu realisieren, scheint für O’Kane der springende Punkt zu sein: Als die Moderne das in der Romantik als ultimativer Bezugspunkt angesehene Verhaftetsein in der Natur erst einmal ad acta gelegt hatte, erschien allein schon die Option irrelevant, mit der natürlichen Ordnung in Einklang zu leben, es sei denn im antimodernen Rückgriff. Es gibt Ausnahmen von dieser Dualität – viele der Häuser und Ateliers von Frank Lloyd Wright sind perfekt in ihre Umgebung eingebettet –, aber das schwer umzusetzende Ziel eines utopischen Lebens für die Arbeiterklasse, wie es von Le Corbusier formuliert wurde, führte dazu, dass jegliches Streben nach Balance aufseiten der eigentlichen Bewohner im Keim erstickt wurde.

O’Kanes Serie „Ideal Homes“ bietet einen in gewisser Weise hoffnungslosen Blick zurück auf das 20. Jahrhundert, auf sein dubioses Vermächtnis einer Verschmelzung utopischer Ideale mit standardisierten Praktiken. Dass diese neu kontextualisierten Bauten als eine Art Vollkommenheit präsentiert werden, die eigentlich nicht existiert, rührt an unserem Sinn für das Schöne, so als wären die Zutaten für die korrekte Formel die ganze Zeit über da gewesen, wir aber erst jetzt in der Lage, sie durch Akte von kreativem Revisionismus zu nutzen. Um dieses Gefühl der imaginären Vollkommenheit noch zu verstärken, verleiht O’Kane vielen seiner Bilder und Konstruktionen einen offenkundig nostalgischen Glanz, so als wolle er deutlich machen, dass die Suche nach einem Weg in die Zukunft mit einer genaueren, weniger doktrinären Interpretation der jüngeren Vergangenheit beginnt. Sein Auftreten als Architekt funktioniert ähnlich, er vermischt ganz bewusst die Identität des Künstlers mit der des Stadtplaners, während er sorgfältig darauf bedacht ist, alles wegzulassen, was den Betrachter in die Täuschung einweihen würde. So laden Werke wie „Architect’s Studio“ und „Eames Studio Limerick“ (2009) das Publikum nicht dazu ein, sich mit der vermeintlichen Authentizität der Situation zu befassen, sondern locken es in einen interaktiven Austausch mit Aspekten der Architekturgeschichte, die zuvor als fest in Raum und Zeit verankert angesehen wurden.

Für seine Installation „Panorama – I like shopping centres and shopping centres like me“ auf der Londoner Economist Plaza 2008 errichtete O’Kane eine freistehende, kreisförmige Panoramastruktur, deren Inneres man nur durch eine Reihe nebeneinanderliegender Linsen entlang der Außenwand betrachten kann. Während O’Kane gewissermaßen Baustellen zeigt, die den Passanten in Echtzeit Einblicke in die Baufortschritte gewähren, spielt er im Titel seines Projekts ironisch auf eine kontroverse Kunstaktion von Joseph Beuys an (Coyote – I like America and America likes me), um die Abhängigkeit des Kunstwerks von seiner Umgebung weiter zu verdeutlichen. Anstatt leicht verschobene Ansichten eines gleichförmigen Motivs zu liefern, lassen O’Kanes Linsen den Betrachter einen Blick auf Abbildungen von urbanen Landschaften, architektonischen Modellen und Pflanzenskulpturen werfen, die einander in Maßstab und Perspektive auf subtile Weise widersprechen. Gelegentlich gewährt er auch eine kurze Ansicht des echten Bürohochhauses, von dem das gesamte Panorama überragt wird. Aus manchen Perspektiven scheinen Gebäude von Pflanzen überwuchert zu werden, während aus anderen unser perspektivisch verkürzter Blick in ein leeres Atelier oder Büro fällt. Da keine der Linsen die Sicht auf die Struktur in ihrer Gesamtheit erlaubt, ist das Publikum mehr oder weniger gezwungen, das Werk stückweise aufzunehmen und eine Reihe von Teilperspektiven zu sammeln, die für sich genommen widersprüchliche Versionen dessen bieten, was sich tatsächlich im Inneren befindet.

Gemeinsam mit einer Untersuchung des botanischen Erbes der Römer in Großbritannien sowie einer Installation, die die sich überschneidende Geschichte der irischen Heimat seiner Eltern mit der Belagerung Derrys durch King James II. 1689 zum Thema hat, wurden all diese Werke unter dem Titel „Case Histories“ (Fallgeschichten) zusammengefasst. Der Titel ist aufschlussreich, da er die bedeutende Rolle von Psychologie und Gedächtnis für die geschichtliche Verbindung zwischen Natur, Land, Familie, Kunst und Architektur, die O’Kane als Baumaterialien einsetzt, erneut unterstreicht. In gewissem Sinne beschreiben die Installationen eine Reihe verschiedener Typologien, innerhalb derer verwandte Themen unter Nutzung wechselnder Variablen behandelt werden können. So, wie bereits Sigmund Freud und andere diese Bezeichnung verwendeten, um ein aktuelles Forschungsvorhaben zu kennzeichnen und anhand jeder separaten Fallgeschichte die jeweilige Pathologie zu diagnostizieren, weist auch bei O’Kane der Titel darauf hin, dass in seinen Werken die Geschichte und die Beziehung des Künstlers zu ihr die Frage ist, die ihn am engsten an die fundamentalen Unwägbarkeiten seiner Zeit bindet. Die kollektive Sorge um eine gemeinsame Zukunft böte die ideale Rechtfertigung dafür, mit der problematischen Welt der Vergangenheit ins Reine zu kommen, die zwar keiner von uns gebaut hat, in der wir jedoch alle leben.
—Von Dan Cameron
    /Übersetzt von Frank Süßdorf

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Dan Cameron ist Chief Curator am Orange County Museum of Art, CA, US
Senior Curator am New Museum in New York
Gründungsdirektor und Chief Curator der Prospect.1 New Orleans Biennale
Director of Visual Arts im Contemporary Arts Center von New Orleans
Chief Curator an der Brooklyn Academy of Music (BAM)
Mitglied der Graduate Faculty der School of Visual Arts (SVA) in New York

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