Bechtolds Arbeiten
Matias Bechtold arbeitet mit Wellpappe, einem Allerweltsmaterial, das hauptsächlich für Verpackungen genutzt und deshalb auch wenig beachtet wird, weil man sie nach Gebrauch bestenfalls recycelt. Wellpappe scheint darüber hinaus als Material für künstlerische Arbeit denkbar ungeeignet, weil sie einerseits weich und empfindlich, andererseits aber stark strukturiert ist.



Bechtolds Umgang mit Wellpappe ist ingeniös und höchst erfinderisch. Er geht auf alle Eigenschaften dieses Materials ein und er versteht es, sich insbesondere ihren mehrschichtigen Aufbau und ihre Wellenstruktur zu nutze zu machen. Indem er sie in höchst unterschiedlicher Weise aufschneidet, verformt und verleimt, kann er mit Wellpappe sowohl sehr kleine wie sehr große Strukturen realisieren oder große Strukturen in kleinste Details auflösen, ohne deren Stabilität zu gefährden. Wellpappe ist damit das ideale Material für die utopisch–dystopischen Stadtvisionen das gelernten Modellbauers und Künstlers.



An Bechtolds Arbeiten fasziniert, dass sie sowohl als Mega–Strukturen als Modelle von ganzen Stadtlandschaften oder von riesenhaften Bauten die Imagination beflügeln als auch zugleich so reich an Details sind, dass man sich bei ihrer Betrachtungen regelrecht in ihnen verlieren und vergessen kann, dass es sich um Modell handelt. Für diese besondere Erfahrung zwischen Vision, Illusion und Realismus spielt aber nicht nur die Einheitlichkeit des Materials, aus denen sie gefertigt sind, eine wichtige Rolle, sondern vor allem die konsistente Faktur seiner Bearbeitung, in der das Material fast zum Verschwinden gebracht wird: in ihrer konzeptionellen und künstlerischen Geschlossenheit bringen Bechtolds Modelle in der Tat ganz eigene Welten zur Anschauung, die die Welt, in der wir leben, kritisch–ironisch kommentieren oder gezielt übersteigen. In der Stadtlandschaft, die von einem Bildschirm–Himmel illuminiert wird, kommt dies ebenso treffend zum Ausdruck wie in Bechtolds utopischen Architekturen, die sich ihre eigenen Maßstäbe schaffen.



Bechtolds Arbeiten sind ein Paradebeispiel dafür, wie durch intelligente Reflexion und großes handwerkliches Geschick aus unserer alltäglichen Realität eine andere Welt hervorgebracht werden kann, die den Alltag ins gänzlich Unerwartete übersteigt. Ganz abgesehen von Bechtolds Thema – Utopien – haben wir mit seinen Arbeiten schon von der Faktur her Arbeiten vor Augen, die ein utopisches Moment konkret werden lassen. Dass der Künstler plant, weitere Utopien in seinem Medium zur Anschauung zu bringen, ist daher nur konsequent.

Von Michael Fehr

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Prof. Dr. Michael Fehr ist Direktor
des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin


Publikation
»Beyond Architecture—Imaginative Buildings an Fictional Cities« | Die Gestalten Verlag, 2009 | herausgegeben von Robert Klanten und Lukas Feireiss | Englisch, 208 Seiten, farbige Abb. | mit Beiträgen von: Tom Sachs, Pipilotti Rist, Erwin Wurm, Matias Bechtold, Rachel Whiteread, Mike Kelley, Do Ho Suh, The Chapman Brothers, Eamon O’Kane, Thomas Demand, Kobas Laksa, Arne Quinze, Wang Qingsong, Filip Dujardin, Studio Job, Droog Design, Atelier van Lieshout, Nathan Coley, Olafur Eliasson, eBoy und andere | ISBN: 978-3-89955-235-5



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