Fabian Lehnert »Jalan, jalan«
22. April—27. Mai 2017

Fabian Lehnert. Jalan jalan
Ein Gespräch.

Der Leipziger Künstler Fabian Lehnert verbindet in seinen Bildkonzepten und Strategien unsere Freude am Schauen mit einem existenzphilosophischen Diskurs. Er führt uns in wundersame, faszinierende Welten, die von menschlichen und tierischen Wesen oder Mischformen bevölkert werden. Menschen, Tiere und Pflanzen erscheinen auf den Bildern in einem andauernden Verschmelzungs- und Kreuzungsprozess. Die Idylle der exotischen Topografien ist aber trügerisch. Bedenkt man die Entwicklungen und Möglichkeiten der Naturwissenschaft, lassen die auf den ersten Blick harmlosen Fantasiegestalten Lehnerts dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren. Seine bevorzugten Medien sind die Zeichnung und die Druckgrafik, wobei er das Zeichenblatt auch gerne verlässt, um direkt auf die Wand zu arbeiten. Für die Ausstellung bei Josef Filipp hat er große, wandfüllende Leinwände als Bildträger gewählt, auf die er die Zeichnungen ohne Grundierung aufbringt.

Zudem sind in den letzten Jahren Zeichnungen und Radierungen entstanden, die Masken und Maskierungen in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen zeigen. Sie thematisieren wie alle seine Arbeiten eine Verbindung von Mensch, Natur, Pflanze und Tier. Das Spektrum reicht von indianischen Maskierungen bis zu Masken der portugiesischen Gemeinde Lazarim. Mit dem Hineinschlüpfen in eine Maske wird der Träger eins mit dem Maskenwesen und häufig ist das Tier Alter Ego des Menschen in einem rituellen Kontext.

Wie viele Künstler ist Fabian Lehnert ein leidenschaftlicher Sammler. Besucht man ihn in seinem Atelier, eröffnet sich einem ein Mikrokosmos verschiedenster Objekte, Folianten und Fundstücke. Seine Beutestücke aus der Natur und dem Alltag fügen sich in den Arbeiten zu einem Gebilde von ganz eigener Dimension. Die in jüngster Zeit entstandenen Installationen gleichen einem Kuriositätenkabinett und wecken unsere Neugierde und Entdeckerlust. Wie in seinen Bildern schafft Fabian Lehnert hier imaginäre Welten, in denen die Grenzen zwischen Natur und menschlicher Kreation, zwischen Entdeckung und Aneignung der Natur verschwimmen.

Fabian Lehnert hat im Winter 2016/17 eine Reise nach Indonesien unternommen. In Bahasa Indonesia der Landessprache ist jalan, jalan die Bezeichnung für Spazieren. Als Metapher für das Weiterkommen, das sich Bewegen ohne konkretes Ziel, ob nun auf Reisen oder im Bildraum, betitelt er damit seine jüngste Rauminstallation. Und lädt damit den Betrachter ein, selbst durch die unbekannten Welten zu spazieren.

In Ihren Installationen finden sich unzählige Knochen. Wie haben Sie diesen Fundus zusammengetragen?

Die Knochen sind alle gefunden. Wenn ich sie vor Ort sehe, stellt sich mir nicht die Frage, wie ich sie künstlerisch einsetzen werde. Ich nehme allerdings nicht alles mit, weil meine Kapazitäten natürlich begrenzt sind. Ich suche verschiedene Knochen und Schädel. Letztendlich wundert es mich, dass ich nicht noch viel mehr Knochen finde.

Was interessiert Sie an den Knochen? Sind es formale Studien?

Alles, was ich gefunden habe, habe ich wenigstens einmal gezeichnet. Für mich ist das ein Anlass, anatomisch zu arbeiten und das einmal zu analysieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals einen bestimmten Wortschatz an lateinischen Begriffen von Knochen haben würde. Dass ich in den Wald gehen kann und weiß, was das für ein Tier ist oder welcher Körperteil das ist, der da vor mir liegt.


Früher haben Sie die Knochen nur gesammelt. Jetzt finden sich die Fundstücke in kleinen Kompositionen oder großformatigen Installationen wieder.
 
Ja. Wobei mir dafür momentan die Zeit und Muße fehlen. Es gibt sehr viele Sachen, die ich gerne machen würde. Diese Verknüpfung von Knochen und meinen Zeichnungen sind zufällig entstanden. Die Zeichnung und der Vogel waren da. Das hatte auf einmal zusammengepasst. Die Teile, die ich habe, geben mir die Komposition vor. Es sind Reste,mit denen ich etwas zusammenbaue. Das verbindet sich für mich schnell. Ein Farn wird dann zum Flügel von einem Vogel. Diese Vermischung der verschiedenen Elemente finde ich spannend. Mich fasziniert, dass die einzelnen Elemente wie ein Puzzle ineinanderpassen. Der Grundbauplan ist bei allen Lebewesen gleich.

Welche Quellen nutzen Sie für Ihre Zeichnungen und Grafiken?
 
Das ist sehr unterschiedlich. Sehr häufig wähle ich direkte Vorlagen für meine Arbeiten, die ich abzeichne. Ich nutze neben anderen Quellen verschiedene alte Enzyklopädien – die älteste stammt aus dem Jahr 1844. Die Abbildungen inspirieren mich zu eigenen Kompositionen oder helfen mir bei der Überprüfung der korrekten Anatomie einzelner Tiere, ihrer Blickachsen und Reaktionen untereinander beim gemeinsamen Agieren. Für die aktuelle große Leinwandarbeit habe ich nur ein Buch als Vorlage genutzt, welches sich thematisch mit Ägypten und ägyptischen Tieren auseinandersetzt. Ich fand es sehr interessant, dass in den ägyptischen Darstellungen viele Mischwesen auftreten, die ja auch in meinen Arbeiten sehr präsent sind. Allerdings betreffen sie in meinen Werken nicht die ägyptische Kultur. Die Mischwesen entwickeln sich aus dem künstlerischen Arbeitsprozess heraus. Beim Malen oder Zeichnen beginne ich mit einem Versatzstück, zum Beispiel einem Tierkopf, auf dem sich der Rest aufbaut. Dann kann der Körper menschlich werden, obwohl der Kopf bereits tierisch angelegt ist. Oder auch  andersherum – ein menschlicher Kopf mit einem Tierkörper.

Sie haben in früheren Arbeiten ausgestorbene Tierarten gemalt, die nur noch als Bilder in älteren Enzyklopädien existieren.

Bei den ausgestorbenen Tieren geht es sehr um das Bild. Unsere Vorstellung vom Dodo ist beispielsweise eine ganz andere, als es das realistische Tier war. Die Zeichnungen und das Kopieren von den Kopien hat das Tier dermaßen deformiert, dass es schließlich ein ganz anderes Aussehen angenommen hat. Das fand ich spannend. Allerdings tauchen ausgestorbene Tiere jetzt eher selten in meinen Arbeiten auf.

Manche Motive sind in den Kompositionen sehr detailreich ausgearbeitet und andere eher angedeutet. Wie entscheiden Sie das? Hat die künstlerische Umsetzung was mit den Vorlagen zu tun?
Ja, auf jeden Fall. Manche Details kann ich für mich nicht so gut definieren. Ich will aber nicht, dass meine Zeichnung genau der Vorlage entspricht. Manches ist noch im Zwischenstadium und nicht fertig. Entscheidend ist manchmal auch, welchen Pinsel ich habe. Habe ich einen dicken oder dünnen Pinsel? Habe ich gerade viel Farbe oder wenig Farbe? Ist es eher lasierend oder deckend? Bei dem Faultier hier war es so, dass das Grobe schon da war – Nase, Mund, Augen – und ich dachte, dass ich es etwas mehr definieren müsste. Es kommt im Arbeitsprozess ein Punkt, an dem ich die Tiere oder Pflanzen nicht weiter ausformulieren muss. Schlussendlich ist es eine kompositorische Entscheidung.
—Von Susanne Pfleger

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Prof. Dr. Susanne Pfleger
Direktorin der Städtischen Galerie Wolfsburg

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