Far From Me          
Seth Armstrong [US], Sebastian Boulter [FI],
Colin Martin [IE], Carol Anne McGowan [IE],
Rebecca Partridge [UK], kuratiert von David O’Kane
16. Januar 2016—27. Februar 2016

›Far From Me‹ ist eine Gruppenausstellung von fünf Malern, denen ich in den letzten zehn Jahren begegnet bin und die die Idee der Distanz als verbindendes Thema verbindet. Die Distanz kommt in den Gemälden auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck und kann im Sinne von Voyeurismus, Entfremdung, Romantik, Ablehnung, Veralterung, Sehnsucht, Nostalgie und innerer/äußerer Erfahrung betrachtet werden.  [Diese Ideen werden durch die Platzierung der Kunstwerke dieser fünf Künstler im selben Kontext erzeugt, anstatt die Künstler zu bitten, neue Arbeiten zu diesem Thema zu schaffen].

Seth Armstrongs voyeuristische Tableaus sind in dieser Ausstellung durch kleine, intime Gemälde vertreten, aber das Anliegen in diesem Zweig seiner visuellen Forschung bleibt das gleiche wie in seinen größeren Kompositionen. Die Gemälde erinnern an Edward Hoppers Darstellungen der psychologischen Entfremdung vom Anderen trotz physischer Nähe. Wir blicken in andere Welten und verbinden mit jeder von ihnen unweigerlich eine Stimmung, eine Erzählung oder eine Assoziation. Doch anders als L.B. Jefferies, James Stewarts Figur in Alfred Hitchcocks Rear Window, kommen wir zu keinem dramatischen Schluss, sondern die leuchtenden Möglichkeiten tanzen weiter hinter den Glasscheiben, die diese anderen Welten von unserer eigenen trennen. Wir sind allein in der Menge, ein Phänomen, das auf die zeitgenössische Entfremdung in der Stadt hinweist und das sich seit Hopper noch verschärft zu haben scheint. Die Gemälde schaffen ein Gleichgewicht zwischen physischer Nähe und emotionaler und psychologischer Distanz, eine Kluft, die nur durch Imagination überbrückt werden kann.

Wie Armstrong ist auch die Stadt ein wesentlicher Bestandteil von Sebastian Boulters visuellem Spielplatz. Doch anstatt Einblicke in das Leben anderer Menschen zu gewähren, konzentriert sich Boulter in seinen Bildern auf die mutwillig weggeworfenen Hinterlassenschaften des Stadtlebens. Diese verwerflichen Überbleibsel sind ebenso Teil dessen, was Walter Benjamin als die Spuren bezeichnete, die wir im Prozess des Lebens hinterlassen[1], wie jede vorsätzliche kreative Arbeit. In der Tat kann die abgebildete Plastikverpackung durchaus länger bestehen bleiben als die Farbe, mit der sie dargestellt wird. Wir versuchen, diese Gegenstände abzulegen, um aus dem vermeintlichen Chaos der Welt eine Art Ordnung zu schaffen. Boulter rückt ihre unangenehme Präsenz wieder in die Nähe des Betrachters. Er schafft eine Spannung zwischen dem Wunsch nach Distanz und der Schönheit der Zellophan-Vanitasform, die mit Farbe als ästhetischem Objekt wiedergegeben wird. Die Gemälde verweisen auf einen ständigen Prozess, den wir unterdrücken wollen und der doch für eine intuitive Bewohnung der konstruierten Umgebung unerlässlich ist.

Einige von Colin Martins neueren Arbeiten untersuchen Objekte und Umgebungen, die einst im Mittelpunkt des täglichen Lebens standen, nun aber veraltet sind oder einen Prozess der Veralterung durchlaufen. Sie werden geborgen und als Artefakte dargestellt, die das Gewicht der Zeit tragen. Diese Objekte sind jetzt Museumsstücke, wie in seinem Gemälde Computermuseum, 2015, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm. Es ist eine seltsame Ironie, die Technologie des Bildschirms in verschiedenen veralteten Formen auf einem der ältesten Bildschirme, der Leinwand, abgebildet zu sehen, und es verweist auf die Geschwindigkeit des Wandels/der Obsoleszenz, die in die Technologie eingebaut ist. Martin erforscht Themen der zukunftsorientierten Kultur, die obsolet geworden ist oder neu bewertet wird[2]. Amps, 2015, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm, verweist auf Veränderungen in der Produktionsweise und Dezimierung von Musik, die den Klang in einem bestimmten Moment der Zeit verorten, der an Prozesse und Körperlichkeit gebunden ist.

Carol Anne McGowans Gemälde bringt uns der Figur am nächsten, und doch verwandelt die fast religiöse Geste der Hand, die das Gesicht verdeckt, das Bild scheinbar in ein Anti-Selbstporträt. Die Hand verweigert anmutig und doch trotzig den Zugang zum Individuum in einer Zeit, in der ein so großer Teil der Bevölkerung die tatsächliche Interaktion durch die Simulakren von Online-Avataren ersetzt, die sich als Identität ausgeben. Die Ebene der Vermittlung wird in dem Gemälde durch die Wahl einer monochromen Farbpalette noch unterstrichen. Die Hand scheint auf den ersten Blick zur Figur zu gehören, doch die Komposition hebt diese Verbindung auf.  Das Selbst kann als das Andere gesehen werden[3]. Das Selbst ist nur insofern erkennbar, als es durch das Andere rekonstituiert wird, wie ein Echoraum. Die auf dem Gemälde dargestellte Hand kann eine Repräsentation der Hand sein, die das Werk geschaffen hat, und doch ist es auch die Hand, die uns den Zutritt verweigert, die unsere voyeuristische Einschätzung des Anderen als Objekt, als Spiegelbild des Selbst blockiert. Die paradoxe Geste wird zugleich mehrdeutig und unheimlich.

Rebecca Partridges minutiös beobachtete Aquarelle von bestimmten, im Lauf der Zeit isolierten Momenten sind sorgfältig ausgewählt und gehen mit dem inneren Rhythmus des Körpers in Resonanz. Die Resonanz mit ihrer graphemischen [Klang/Farbe] synästhetischen Erfahrung der Realität verwirft die Trennung der Sinne. Sie betrachtet die Bedingung der Synästhesie als ein allgemeines Modell[4], und in der Tat kann die Synästhesie die Grundlage der Metapher[5] sein, die das Innere nach außen kehrt. Die Natur ist das Außen, das Äußere, das, was weit weg ist, aber durch den Körper oder in der Zeit in den Körper zurückkehrt. Das Gemälde ist das Medium dieser Resonanz und das Werk wird zu einer intuitiven Synthese eines Netzwerks von Modalitäten[6].

Das Meer oder der Nebel oder der Baum ist einfach ein Außen, ein Anderer. Wenn wir Mimesis als eine Möglichkeit verstehen, in eine verkörperte Beziehung mit dem Anderen zu treten, und wir uns der Vorstellung von der Natur als Außen anschließen, dann könnte man sagen, dass ich, indem ich die Natur ins Atelier bringe, die Grenzen zwischen Innen und Außen verwische. Das innere Gefühl der körperlichen Rhythmik wird in der Arbeit externalisiert. Gleichzeitig rückt das Werk das Äußere und die Ferne in die Nähe.[7]

Partridge testet die Resonanz des Äußeren gegenüber der inneren Reaktion und strebt eine Synthese über einen Erfahrungshorizont hinweg an. Er holt das Äußere, das, was uns fern ist, nach innen und reproduziert es als physisches Objekt.

Der Titel der Ausstellung leitet sich von Nick Caves Song ›Far From Me‹ ab. Cave beschreibt die lyrische Erzählung des Liedes als die allmähliche Demontage einer Beziehung. Colin Martins Amps I, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm, 2015 stellt das analoge Aufnahmestudio als Artefakt dar, leer und in der Zeit eingefroren. Die verschiedenen Mikrofone und Verstärkergeräte sind Medien der Vervielfältigung, aber ohne Stimme oder Instrument sind sie stumme Vanitas-Objekte. Musik durchdringt den Körper als reine Erfahrung, durchdringt und bewohnt uns als nicht-physische Entität. Trotz Caves lyrischer Erzählung von der Entfremdung durch die Musik wird die Distanz im Inneren verlagert und neu zusammengesetzt. Als Stillleben lädt Amps I zur Betrachtung von Produktion und Mediation ein und macht die Stille zu einer greifbaren körperlichen Erfahrung. In gewisser Weise versuchen alle diese Gemälde, die Kluft der Distanz zurückzuerobern oder zu überbrücken, dem Betrachter die Erfahrung in Zeit und Raum zurückzugeben, wenn auch als Illusion.
David O’Kane, 2016

[1] ›Leben heißt Spuren hinterlassen‹. Benjamin, Walter. ›Paris, Hauptstadt des neunzehnten Jahrhunderts‹. Reflections: Essays, Aphorismen, Autobiographisches Schreiben. Trans. Edmund Jephcott. New York: Schocken Books, 1986. Drucken.
[2] http://www.colinmartinartist.com/index.php?/exhibitions/future-orientated-obsolesence/
[3] Rebecca Partridge zitiert Heidegger in ihrem Text ›Time Being: Being Time‹: ›Jeder ist der andere, und keiner ist er selbst‹. http://rebeccapartridge.com/time-being-being-time/
[Das von Heidegger verwendete Pronomen verdeutlicht eine andere Art der Der Ausschluss des Weiblichen durch den Sprachgebrauch.]
[4] Partridge, Rebecca ›Resonanzen und Widerhall: Gespräch zwischen Jan Verwoert und Rebecca Partridge‹. Notationen – Rebecca Partridge. Trans. Nadja Gebhardt Berlin: Broken Dimanche Press, 2014.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Ebd.

 

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