Klara Meinhardt: Habitat                       
8. März—7. April 2018                   

Das Habitat – der natürliche und zweckmäßige Lebensraum des Menschen - ist in Bewegung. Die gedeihliche Umgebung ist mehr als das ortsgebunden definierte Biotop. Klara Meinhardt betrachtet den Existenzort ihrer Zeitgenossen mit fragendem Blick. Zuerst ist die originäre Umgebung nicht mehr räumlich definiert. Die kulturelle, historisch bedingte und geistige Zugehörigkeit, die Wertewelten und sozialen Vernetzungen, verlangen weniger lokale Koordinaten sondern Platz und Toleranz für Kulturtechniken und Lebensart. Sich einzurichten in einem imaginierten Raum entspricht dem Bedürfnis nach modernen Ritualen und macht das Habitat zum Existenzrahmen für einen ideellen Aufenthaltsbereich.

Zum anderen wiederum ist der menschliche Körper primärer Existenzraum, ist einzig verbindliches räumliches und materielles Habitat. Die Hülle des Ich, einstmals undurchlässige Grenze von Subjekt zu Objekt, unterliegt Gestaltungswahn und Optimierungsambitionen und öffnet sich zur Umgebung, nicht zuletzt in Form von Körperkult und Körpersymbolik. Klara Meinhardt hat in mehreren Werkkomplexen diese Ambivalenz des menschlichen Habitats nach seinem zeitgemäßen Ausdruck befragt und in ihre Bild- und Formsprache übertragen.

In den Cyanotypien* nähert sie sich dem Habitat als körperliche Kategorie. Die Serie »Before Jesus« referiert Naturgottheiten. Zusammengefasst in ihren eigenwilligen körperlichen Ausformungen und Abdrücken bilden sie das geschlossene System Körper ab und verbergen betont die [auch göttliche] Kraft, die darin angesammelt ist. Die äußere Form als Umriss, von Sonnenstrahlen natürlich auf lichtempfindliche Leinwand gebannt, wirkt mystisch und unnahbar. In den »Embodiments« wechselt Meinhardt die Blickrichtung. Das Verfahren der Cyanotypie auf Leinwand [bis zu 2,60 x 1,50 m] ist technisch verfeinert und die Belichtung mittels UV Strahlung zum Fotogramm ist um Zwischenschritte erweitert - Innensichten werden möglich. Im monochromen Berliner Blau präsentiert sich der menschliche Körper in wissenschaftliche Formsprache übersetzt, ergänzt um Raster, Skizzen, Maßeinheiten, um Architektur, Zellmaterial und naturkundliche Exponate. In Module aufgeteilt oder aufgeklappt und vermessen wie ein anatomisches Modell wird der Körper zu einem technoiden System aus Maschinenzeichnungen – das Habitat der Seele.

Die Inkongruenz von äußerem Rahmen als formaler Erscheinung und der Wesenhaftigkeit wird metaphorisch in den sakral präsentierten Betonobjekten deutlich. Die ausgegossenen Hohlräume von Styroporverpackungen geben eben nicht das ursprünglich verpackte Objekt wieder, sondern zeigen in faszinierend abwegiger Formsprache ein Positiv mit selbstständigen Assoziationen und einer ganz eigenen, zufälligen Ästhetik. Diese eigene Ästhetik des Verhüllens, Verschnürens und Verpackens steigert Meinhardt in den Arbeiten, die an die Bondage-Techniken erinnern. Das Einbinden, Fesseln und Umschlingen von Körpern zielt neben der sexuellen, künstlerischen und erotischen Konnotation vor allem auf die Gestaltung eines Gesamtkunstwerks aus Objekt und Seil. Hülle und Körper verbinden sich hier zu einer emotionalen und wesentlichen Aussage.

Von der konkreten Behausung der Seele bis zum imaginierten ideellen Existenzraum des Ich kann Klara Meinhardt das menschliche Habitat in Sinnbilder zerlegen, die eine bewegliche Auffassung von einer ehemals gesicherten Vorstellung vermitteln.        
Von Tina Simon
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Dr. phil. Tina Simon
Autorin und Publizistin, Leipzig


* Die Cyanotypie, auch bekannt als [Eisen-] Blaudruck, ist ein frühes fotografisches Verfahren [um 1842] das auf einer lichtempfindlichen chemischen Eisenlösung basiert. Diese wird auf das Trägermaterial aufgetragen, Negative und Objekte darauf platziert und die Fläche mittels UV-Licht [Sonnenlicht] belichtet. Die unbelichteten Teile sind wasserlöslich und werden hinterher mit Wasser ausgewaschen, das Abbild dabei fixiert/stabilisiert. Das Ergebnis sind intensiv monochrome Aufnahmen/Bilder/Collagen in cyanblauen Farbtönen – eine Ästhetik, die an frühe alternative botanische Dokumentation [Photogramme] und technische Blaupausen erinnert.

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