Klara Meinhardt: ΕΞΟΔΟΣ       
3.—31. August 2019           

Atlas und Minos und die maskierte Gestalt von Roman Copy: im starken Blau dreier großformatigen Cyanotypien gibt Klara Meinhardt eindrucksvoll den motivischen Kontext ihrer neuen Ausstellung ΕΞΟΔΟΣ [EXODOS] vor. Es erscheinen Figuren und Formen der griechischen Mythologie und antiker Statuen. Doch diese Referenzen weisen eigenartige Verschiebungen auf; die Haltungen und Körper wirken zum Teil klassisch in ihren Proportionen, den schönen Rundungen, den wohlgebildeten Körpern. Doch dann schlägt die vermeintliche Ausgewogenheit um ins Posieren als handelte es sich um Werbefotografie. Nicht genug, die Figur des Atlas erscheint mit weiblichem Körper, ebenso Minos.

Die unmittelbare Sinnlichkeit, die unsere ungeschützte Wahrnehmung belegt und so normativ das Begehren codiert, diese Unmittelbarkeit wird von Klara Meinhardt gestört. Nicht nur weil die idealen-schönen Statuen und Haltungen in eigenartigen Symbiosen und neuen Formen erscheinen. Denn auch das Medium der Cyanotypie mit seiner modernen Ästhetik der Blaupause und botanischen Studien evoziert Körperstudien, technische Vermessung—und ein Neu-Entwerfen der traditionellen kulturellen Normierungen. In ihrer Aneignung antiker Formen eröffnet sich die Künstlerin die Möglichkeit zur Neubetrachtung und Umformung. Die entfremdende Inszenierung auf der Cyanotypie in ihren Gestaltungsmitteln statt in gefälligen fotografischen Settings für Hochglanzmagazine ist nur eine ausgerufene Herausforderung an die vermeintliche unmittelbare Lesbarkeit von Bildwerken.

Mit Skulpturen und Readymades geht sie ebenso in den Raum. Archaisch anmutendes Material ist genauso Teil der Ausstellung wie die Moderne evozierender Stahl und Papier. Die Abstraktion der Form fordert unsere Deutungsmuster heraus. Man findet sich als Archäologe wieder, es gibt Bruchstücke und Verweise, Hinweise auf mythologische Themen mit einem reduziert erscheinenden Altar oder Opfertisch. Ein anderes Werk, etwa ein in Stahlrahmen gefasstes Fries aus 25 Cyanotypien verweist auf den Drang und Traum des modernen Menschen, die Natur beherrschen zu wollen, während die alten Griechen seit der Neuzeit sowohl als Kultur- wie auch Naturvolk vorgestellt werden. Am Prinzip des Readymades, der Umdeutung und funktionalen Umänderung von Objekten, spitzt Meinhardt Fragen um die Lesbarkeit und Vorstellungen von Begriffen, Normen und Ästhetiken noch weiter zu, die sie in dieser Ausstellung regelrecht zur Aufführung bringt.

Im ΕΞΟΔΟΣ findet schließlich die griechische Tragödie ihren Ausklang. Die maskierten Schauspieler bewegen sich durch den letzten Teil der Aufführung nach dem letzten Lied des Chores. Der erzielte Sinneswandel, die Katharsis, muss beim Zuschauer nun erreicht sein oder erreicht werden. Fast schon subversiv inszeniert Meinhardt ihre Verschiebungen; auf Genealogien wie Konzepte wird verwiesen, während sie gleichzeitig semantisch modifiziert und gebrochen werden. Atlas erscheint hier als kraftvolle, tragende Frauengestalt. Und für unsere Augen macht das heute auch absolut Sinn.

Instagram Josef Filipp | Instagram Thomas Steinert Archiv
Impressum / Datenschutz