Marcus Jansen »Schutzgebiet«
15. November 2008—10. Januar 2009
Eröffnung: Freitag, 14. November, 19 Uhr

Der Fuchs als Idee. Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges zitiert in seinem Text »Die analytische Sprache John Wilkins‹« eine fiktive chinesische Enzyklopädie, die Tiere unter anderem in folgende Kategorien einteilt: »Tiere, die dem Kaiser gehören, einbalsamierte Tiere, Milchschweine, Sirenen, herrenlose Hunde, Tiere, die den Wasserkrug zerbrochen haben, Tiere, die von weitem wie Fliegen aussehen.« Diese Passage sät eine verstörende Ungewissheit über die Relevanz wissenschaftlicher Ordnungssysteme und birgt in ihrem Kern die Frage, was das Wesen eines Tieres überhaupt sei, welchen Raum und welche Funktionen wir ihm in unserer Wahrnehmung zugestehen.

Der Bildhauer Marcus Jansen hat für seine Ausstellung »Schutzgebiet« Füchse aus Hartschaum modelliert. In Gruppen zu dritt, zu viert stehen sie in gitterartigen, luftigen Gehäusen aus filigran bearbeiteten OSB-Platten übereinander – Zitat eines zu Industriematerial zusammengepressten Waldes. Mit der grazilen Angespanntheit des alerten Räubers bewegen sich die Füchse vorwärts. Ihr serielles Auftreten, ihre unterschiedliche Einfärbung macht sie wahlweise zu einem geduckt vorwärts schleichenden Rudel oder zu Bewohnern von Jansens Installation. Jansen hat ein Material für seine Füchse gewählt, das einen naturalistischen Zeigemodus, eine naturgetreue Wiedergabe von Fell, Farbe und Gesichtsausdruck der Tiere verbaut. Zutritt verboten für ein der Tierwelt längst komplett entfremdetes Publikum, das in den Spiegel der Fuchsseele schauen will. Jansen stellt die Füchse als Skulptur ins Schutzgebiet seines Ateliers und beschäftigt sich so mit dem Umstand, dass unser Blick auf das Tier fast nicht anderes kennt, als es zu vereinnahmen und zu vermenschlichen.

Schon allein die Tatsache, dass Jansen einen ausgestopften Fuchs, wie er für gewöhnlich in anatomischen Kabinetten oder wilhelminischen Schulvitrinen steht, zum Vorbild für die Form genommen hat, bringt das Problem des Abbilds auf den Punkt. Bereits die Vorlage war kein »echtes« Tier, sondern ein komplett dekontextualisiertes Präparat, eine Vorstellung, ein Prototyp. Diesem Weg folgt Jansen. Er entwickelt die Skulptur nicht aus dem Wunsch heraus abzubilden, sondern aus dem Willen, Modus und Bewegung des Fuchses umzusetzen. So wie die Spieltiere der Marke Schleich mehr als nur Abbilder von Tieren sind – sie bilden die Summe aus Tierform, Vermenschlichung, Verniedlichung und der Möglichkeit eines auf Kinderhosentaschengröße domestizierbaren Wild- und Haustierlebens – sind Jansens Füchse weder Porträt noch Ikone. Sie beschäftigen sich mit dem Modellfall Fuchs.

In der Reibung zwischen Readymade und selbstgemacht haben Jansens Caniden in einer bildlichen, emotionalen Systematik ein Gehege gefunden. Die Ordnungssysteme hallen irgendwo im Hintergrund nach – Jansen war, bevor er Künstler wurde, Naturwissenschaftler. Und als würde er den riesigen Vorstellungsraum selbst, dieses dichte, schwer auflösbare Knäuel aus Gattung und Untergattung, aus Niedlichkeit und Wildromantik, aus Fellmantel und Tollwut domestizieren wollen, gattert er die Tiere ein, umgibt sie mit fuchsbaugroßen Gehäusen aus furnierten OSB-Platten. Gleichsam der Warnung eines Kindes folgend, begibt sich Jansen in einen Kosmos aus den zeitgenössischen Bildhauermaterialien Hartschaum, Farbpigment, Spanholz. Eine ganz eigene Ordnung herrscht dort, in der weit voneinander entfernte Dinge an einem Ort stattfinden: »Pass auf, wenn Du in den Garten gehst. Dort gibt es Krokodile und Rasenmäher!«
—Robert Schimke

Publikation: »marcus jansen sunshine recorder«. Text von Barbara Uppenkamp: Modell & Experiment; deutsch und englisch; 68 Seiten, zahlreiche Abbildungen; gefördert von Stiftung Kunstfonds und VG-Bild-Kunst. 2005, Jan van der Most Verlag, Düsseldorf. ISBN 3-9807575-8-7
Marcus Jansen [*1962 in Köln] lebt und arbeitet in Leipzig. 1982-1990 Studium HBK Braunschweig und Kunstakademie Düsseldorf. 1990/91 DAAD-Stipendium London, MA Course of Fine Arts, Goldsmiths College. 1998-2005 Assistent für Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden. 2004 Gastprofessur Universität der Künste Berlin. 2008 Gastprofessur an der HfBK Dresden.

Die Ausstellung ist von Dienstag bis Samstag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Mehr Information und Besuch nach Vereinbarung unter Telefon: 0172. 373 11 10. Auf Ihr Kommen freuen sich Josef Filipp, Michaela Rosbach und Jörg Rosbach.

Impressum  Top